Agony of Flies Page 3
Er durchschaut Menschen sehr rasch und verfällt ihnen dann erst recht, weil er sie durchschaut hat.
Es ist eine beinahe unwiderstehliche Versuchung, Kummer zu bereiten, wenn man die Macht hat, ihn wieder aus der Welt zu schaffen.
Das Lesen will sich bei mir durch Lesen fortpflanzen, Anregungen von außen gehorche ich nie, oder nur nach sehr langer Zeit. Ich will entdecken, was ich lese. Wer mir ein Buch empfiehlt, schlägt es mir aus der Hand, wer es preist, verleidet es mir auf Jahre. Ich traue nur den Geistern, die ich wirklich verehre. Sie können mir alles empfehlen, um meine Neugier zu wecken, genügt es, daß sie etwas in einem Buche nennen. Was aber andere nennen, mit ihren flüchtigen Zungen, ist wie mit einem wirksamen Fluch belegt. So hatte ich es schwer, die großen Bücher kennenzulernen, denn das eigentlich Größte ist in den Kult der Allgemeinheit eingegangen. Die Leute haben es auf den Lippen, wie die Namen ihrer Helden, und indem sie es mit vollem Munde sprechen – sie wollen daran recht satt sein –, verwünschen sie mir, was zu kennen für mich so wichtig wäre.
In einzelnen Sätzen ahmt man am wenigsten nach. Schon zwei Sätze beisammen sind wie von jemand anderem.
Ein Land, in dem man nur vor Sehnsucht atmet.
Die Schätzung der Leute richtet sich in England danach, wie sehr sie es verstehen, den anderen in Ruhe zu lassen.
Die Kunst ist, wenig genug zu lesen.
Das Häßlichste: ein geiziger Pfau.
Die Bedeutenden sind oft nur die Neugierigen, die sich weit weg gelesen haben.
Er will zerstreute Aufzeichnungen hinterlassen als Korrektur zum geschlossenen System seiner Ansprüche.
Die Geschichte setzt den Mächtigen Hörner auf.
Er will, daß jeder Satz aus dessen eigener Erfahrung spricht.
Die Menschen, die man zu lange kennt, erdrosseln die Figuren, die man gern erfinden möchte.
Die Leute scheuen den, der immer dasselbe sagt. Wenn er es aber rücksichtslos genug sagt, lassen sie sich von ihm beherrschen.
Wieviel Jahrhunderte noch werden bei Plato plündern gehen!
Die Seele ist vielfach, aber sie stellt sich gern, als ob sie einfach wäre.
Was sie alles möchte, Abenteuer, Maskenfeste, Gelage und ihn als Zahnstocher dazu.
Sie will nichts von Güte wissen, und er ist wütend darüber.
Wenn die Angst um einen Menschen unerträglich geworden ist, bleibt ihm nur noch ein Mittel, sich davon zu befreien. Er erzählt einem Dritten, der beiden gut bekannt ist, daß jener umgekommen ist. Er beschreibt die Nachricht, den Weg, den sie genommen hat, alle Einzelheiten jenes befürchteten Todes. Er spricht davon mit viel Aufwand und mit genau den Zügen, die ihr gebühren würden, wenn sie wahr wäre. Das Entsetzen, das er so beim Dritten hervorruft, tut ihm unendlich wohl. Nach einer kleinen Weile spricht er mit ihm über ganz andere Dinge, und wenn er ihn verläßt, hat er das sichere Gefühl, daß der Mensch, um den er so sehr gefürchtet hat, lebt und gar nicht in Gefahr ist.
Er ist so ernst, er könnte sich mit einem Regenwurm zerstreiten.
An jener Nachricht über die Mauersegler, die bei Nacht in großen Höhen schlafend fliegen, hat mich ergriffen, daß Traum und Flug noch zusammenfallen.
Er will, daß die Nachrichten an ihn herankommen wie lebende Boten, und er haßt es, sie zu provozieren.
Ein Riese, der auf Zehenspitzen »Fliegen von der Decke fängt«. Militär-Pferde im Stall scheuen vor dem Riesen. »Pferde-Augen sollen Gegenstände viel mehr vergrößern als die von Menschen.«
Ein Sterbender, der von seinen Göttern Abschied nimmt.
Jahre meines Lebens gäbe ich dafür, für kurze Zeit ein Tier zu sein.
Alle Literatur schwankt zwischen Natur und Paradies und liebt es, das eine für das andere zu halten.
Mit seinem Wissen schützt sich der Mensch vor der Ewigkeit und bildet sich ein, sie zu erlangen.
Sie streitet, weil sie dann besser weint. Er streitet, weil er dann besser strotzt.
Kämpfe langweilen ihn, weil sie von jeder Erkenntnis abführen.
Niemand erklären, wie verlassen man ist, auch sich selber nicht.
Man hält so lange an sich fest, bis man keine Himmelsrichtung mehr kennt.
Er bemüht sich, immer weniger zu wissen und muß dazu eine Menge lernen.
Im Herbst ist die Sonne sich selber dankbar.
Wie gering die Menschen sich ihren Gott denken! Einen Traum billigen sie ihm zu, eine Schöpfung!
Man könnte aber auch sagen, daß Gott der ist, der alles auf einmal träumt.
Am merkwürdigsten sind mir die Dichter, deren knappes Leben von dem ihrer älteren Zeitgenossen noch überholt wird. So kann Kleist in der reiferen Zeit Goethes jung sein, und dann überlebt ihn dieser noch um beinahe zwanzig Jahre. Ausgeprägter ist dieses selbe Verhältnis zwischen Novalis und Goethe, dabei wäre zu bedenken, wieviel Goethe Novalis bedeutet hat. Die jungen Dichter werden leichter zeitlos, ihre Unsterblichkeit ist wie eine Entschädigung: alt sind sie gar nicht zu denken. Man neigt dann dazu zu glauben, sie seien jung gestorben, eben um kein Bild des Alten von sich zu hinterlassen.
Einer der noch im Sterben Vokabeln lernt.
Der Gesinnungslose, der anderen ihre Gesinnung so vorwirft, als ob er selber eine hätte, und je nach den Vorwürfen, die er gerade braucht, immer eine andere.
Er gab sich alle erdenkliche Mühe, aus seinem Feinde Geld herauszukriegen. Dann schickte er es ihm in kleine Fetzen zerrissen zurück. So sehr verachtete er ihn, so sehr verachtete er Geiz, und so sehr wollte er diesen Feind eben in seinem Geize treffen.
Auch die Unsterblichkeit hat ihre Wucherer.
Schwindlerin, die mit letzten Worten hausiert.
Die Mumie des lustigsten Mannes aus dem alten Ägypten.
Die Völker, die sich während der letzten drei- oder viertausend Jahre einen Namen gemacht haben und ihn nun bis zum Ende behalten werden.
Er ist von allem beeindruckt, was er verbessern darf.
Er liebt die Felsen, das Wissen, wegen der ungeheuren Abgründe dazwischen.
Der Blick jahraus jahrein in dieselbe Landschaft wird zu einer besänftigenden Leere, die man nicht erkennt und darum nicht fürchtet.
Er will nicht mehr leben, es sei denn früher.
Die Pflanzen hielt er für beschränkt, die Tiere für überholt.
Er stöbert gern in Meinungen herum.
Die Historiker daraufhin untersuchen, was als frühester Glanz in ihr Leben schien.
Eine Versammlung der lebenden englischen Lyriker, in der jeder an Bescheidenheit die erste Stelle einnimmt.
Er kommt sich tiefsinnig vor, denn er ahmt nur die Autoren nach, von denen nicht mehr als abgerissene Sätze übrig sind.
Das Denken verliert seine Wucht, wenn es zum Alltag wird, es soll wie von fernher auf seine Gegenstände stürzen.
Wenn er lange nichts von Göttern gelesen hat, wird er unruhig.
Alle, die er je gekannt hat, bitten ihn ums Wort.
Es ist nur möglich zu leben, weil es so viel zu wissen gibt. Eine gute Weile, nachdem es sich über einen ergossen hat, behält das Wissen noch seine Glätte und Neutralität, wie Öl auf den stürmischen Wassern der Gefühle. Sobald es sich aber mit diesen doch vermischt hat, hilft es einem gar nichts mehr, und man muß neues Wissen auf die Wellen schütten.
Jede geistige Tendenz in seinem Leben wartet ihre Zeit ab, bis sie, zu einer Person gesammelt, ihm entgegentritt und zum Schicksal wird.
Dichter ist, wer Figuren erfindet, die ihm niemand glaubt und die doch keiner vergißt.
Einer, den keiner je wiedersieht. Wie macht er das?
Sie kann nichts aufgeben: wenn einer ihr die Hand gibt, kriegt er nichts mehr zurück.
Eine Welt, in der jeder sterben darf, so oft er Lust hat, aber immer nur für eine beschränkte Zeit.
Ein Mensch, in dem jeder einen anderen Bekannten erkennt.
Er sucht sich einen tauben Gott aus, da kann er beten, was ihm paßt.
In einem sehr verlängerten Leben wird man sich mehr Zeit nehmen können; wenn nur die Mittel zu dieser Verlängerung von den traditionellen Minuten und Sekunden nicht zu sehr verseucht sind. Vielleicht wird man eine neue Zeiteinteilung versuchen müssen.
»Ready to be anything, in the ecstasy of being ever.«
Sir Thomas Browne
Der Balg der Zeit liegt ausgeweidet am Boden. Nun wollen sie ihn gerben.
Die Geschichte weiß alles besser, weil sie nichts weiß.
Ich möchte nicht sterben, ohne jeden Glauben wenigstens geträumt zu haben.
In der Nähe der gefährlichen Grenzen sieht er sich um. Er hat viel übersehen, aber es ist noch dort. Sein Auge reicht weit zurück, es ist wie ein klingender Himmel und legt sich zärtlich über das Versäumte.
Wenn der Mensch sehr glücklich ist, erträgt er keine fremde Musik.
Die Meinungen haben ihre Nachbarschaften, manche sind sich über eine ganz enge Gasse hinüber feind.
Gogols letzte Worte: »Eine Leiter, rasch, eine Leiter!«
»Alles ist schon dagewesen, nur ich nicht«, der höhnische Kernsatz der Macht.
Gott klaubt rasch ein paar Sterne zusammen, um sie vor uns zu retten.
Der Regen macht mich glücklich, als wäre ich eben leicht und schmerzlos auf die Welt gekommen.
Die Zukunft hat sich zu gern, aber es nützt ihr nichts.
Der Sterbende nimmt die Welt mit. Wohin?
Er ist zu alt, um noch einmal auf die Welt zu kommen.
Er hat soviel gepredigt, daß er an nichts mehr glaubt. – Wie sehr darf man seinen Glauben beteuern, ohne ihn zu gefährden? Das Verhältnis finden.
Eine Welt, in der jeder noch selber Ahne ist und von niemand abstammt.
Die Klugen klagen sich glücklich.
Du bist zu klug, du mußt mehr verlieren. (Rat an einen Freund)
Im Traum: Gedicht aus dem nächsten Jahrhundert.
> Geschichte eines Mannes, der an einem Worte zugrundegeht.
Er hat sich an den Einteilungen seines Lieblingsphilosophen erhängt.
Seine geheime Sehnsucht: den alten Griechen Wohltaten zu erweisen.
Er macht viel Worte, er vergißt sie, die anderen vergessen sie nicht.
Die Lesenden, die Lesenden überall, auf der ganzen Welt, über den falschen Büchern, eifrig, gläubig, gebückt, vergiftet!
Gedanken, die nie aneinander rühren.
Ein Land, in dem die Ohren gebügelt werden.
Die Entwicklung eines Menschen besteht hauptsächlich aus den Worten, die er sich abgewöhnt.
Man müßte sich jahrelang zwingen, nicht weiterzudenken, damit alle zurückgebliebenen Teile der eigenen Person den Vortrupp einholen.
Der Respekt, den die Menschen ihren gegenseitigen Gewohnheiten bezeugen, in der Hoffnung, daß die Gewohnheit des einen zu der des anderen stimmt und aus dieser Gemeinsamkeit ein Zeitvertreib erwachsen könnte.
Es will einen ja der Feind nicht immer töten. Nur im Paranoiker sieht es so aus, als ob der Mörder immerwährend Mörder wäre.
Er tut solange, was er nicht will, bis er es will: Selbstzerstörung.
II
He is so smart he only sees what’s happening behind his back.
Whoever leaves a legacy of self-revelation shall be taken at his word. What a reckless venture, given the fact that future generations will show no pity!
Of all obstacles none is more tempting than rivers.
All the facts of my own life, whether good or bad, are in some way disturbing to me.
The way other people act affects me as much as some people are affected by the pleasant or odious taste of their food.
His lists are composed of nothing but omissions.
A pack of philosophers spells death for the poet.
It is humiliating how we cannot allow ourselves certain changes of character under any circumstances. In fact, character really consists of our choice among those changes that are permitted to us.
The pleasure of playing new roles in the presence of an audience who knows you very well, to slip, so to speak, surreptitiously out of its grasp—that pleasure is so great that the writing of new characters, as practiced by writers and playwrights, by comparison seems quite boring. This undoubtedly is the reason why some of the best such imagined characters never reach posterity. You wish to be these characters with such intensity as to have an immediate effect on others, magically and visibly—instead of merely recording and preserving them on paper. It is liberating when your old hands speak in new languages which a short while ago you had never heard of. And it is blissful to enter a new face and to slip the old one over it like a mask.
The great-granddaughter of the famous astronomer has received me. She lives among the telescopes that have recorded the stars of both the northern and southern skies. I visited the old house and the study that belonged to Wilhelm Herschel. Directly across stands a modern cinema, in front of which people wait in long lines. It would be easy for them to go see the scientific instruments and papers lying on Herschel’s desk, but they have no idea that such a man existed. His great-granddaughter would like the movie house to be swallowed by the earth.
When people visit places associated with famous poets, the poets just laugh up the sleeve of their collected works.
Only suspicions upset him, never the actual facts. These facts may be the worst imaginable, even worse than the suspicions—but even so, they inspire no fear in him. As soon as a fact corroborates a suspicion, he regains his composure. For instance, he may be mortally afraid of having been poisoned, but there is one way of overcoming this dread: he merely has to convince himself that he has in truth been poisoned—then everything is fine once more.
He is very quick to see through people and then he is all the more prone to become their prey precisely because he has seen through them.
The temptation to create grief is virtually impossible to resist—as long as it remains in one’s power to remove it once again.
Reading seeks to propagate itself in me by reading; I never follow any outside recommendations, or if I do, then only after a very long time. I want to discover what I read. Whoever suggests a book to me knocks it out of my hands; whoever praises it spoils it for me for years. I only trust the minds I truly revere. They can recommend anything to me, and to awaken my curiosity all they have to do is to mention something in a given book. But whatever others recommend with their facile tongues is as if truly cursed. Thus it was hard for me to get to know the great books, for the greatest works long ago have entered the idolatry of the commonplace. People have the names of those books—as well as their heroes—on the tips of their tongues, and since they are so intent on stuffing themselves, they pronounce these names with their mouths full, thereby spoiling my own appetite for what would be so important for me to know.
Single sentences show imitation least: even two sentences taken together seem as if they had been borrowed from someone else.
A country in which one breathes only out of longing.
In England people are valued according to the extent to which they manage to leave others alone.
The trick is to read just little enough.
The epitome of ugliness: a stingy peacock.
The great are often simply those who were curious enough to read themselves into a great remoteness.
He intends to leave behind random notes as a revision of the closed system of his claims.
History makes cuckolds out of the mighty.
He wants every sentence to speak out of its own experience.
The people you know for too long strangle the characters you would like to invent.
People shun the man who always repeats himself. But if he repeats himself with sufficiently inconsiderate relentlessness, they will succumb to his domination.
How many more centuries will go on plundering Plato?
The soul is manifold but likes to give the impression of being simple.
It’s amazing all the things she wants: adventures, masked balls, banquets, and what’s more—him to serve as her toothpick.
She doesn’t want to hear about kindness, and this angers him no end.
When his anxiety about a person becomes unbearable, he is left with only one means to rid himself of it: He tells a third party, well known to both of them, that the person in question has died. He describes the nature of the news and the way it reached him, as well as all the details of that death he so greatly feared. He expounds on it with much emotion and all the facial expressions appropriate to the event, as if it were true. The horrified shock he thus elicits in the third party soothes him tremendously. A little later he talks with him about something else entirely, and upon leaving him, he is filled with the absolute certainty that the person for whose life he had felt such great fear is alive and safe from all danger.
He’s so grimly serious he could pick a fight with an earthworm.
I was very moved by that report on chimney swifts, who sleep while flying through the night at great heights, particularly by the fact that dreaming and flying are indivisible.
He wants the news reports to approach him like living messengers, and he hates to provoke them.
A giant who merely has to stand on his tiptoes to “pick flies from the ceiling.” In the stables the cavalry horses shy away from the giant. “The eyes of horses supposedly magnify objects much more than human eyes.”
A dying man taking leave from his gods.
I happily would trade several years of my life for a short while as an animal.
All literature wavers between nature and paradise and loves to mistake one for the other.
Man uses his knowledge to protect himself from eternity and in so doing imagines he is attaining it.
She fights because thereafter she is better able to weep. He fights because thereafter he is all the more strongly aroused.
Struggles bore him because they lead away from any understanding.
Never tell anyone how forsaken you feel, not even yourself.
A person keeps a hold on himself until he loses all sense of direction.
He takes pains to know less and less and to that end has to learn more and more.
The autumnal sun is grateful to itself.